Der Letzte räumt die Erde auf
Wie kann man mit dem Müllproblem auf der Erde umgehen?
Wir trennen unseren Hausmüll, ziehen Pfand- den Einwegflaschen vor und vermeiden Plastikverpackungen. Auch wenn bei vielen Menschen bereits ein Umdenken stattgefunden hat, wird nach wie vor zu viel Abfall produziert und zu wenig recycelt – mit fatalen Folgen für Mensch und Umwelt. Laut Umweltbundesamt sind allein hierzulande im Jahr 2018 pro Kopf 230 Kilogramm Verpackungsmüll angefallen, davon etwa 40 Kilogramm Kunststoffe. Vermeintlich zur Weiterverwertung und Aufbereitung wird Plastikmüll exportiert – nicht selten in Länder mit kaum existierenden Umweltstandards – und landet tonnenweise in den Weltmeeren. Bis heute wurden mehr als 8,3 Milliarden Tonnen Plastik hergestellt, von denen ein Großteil nie recycelt wurde und auch in Zukunft nicht wird. Prognosen sagen bis zum Jahr 2050 ein akkumuliertes Plastikmüllvolumen in der Umwelt von zwölf Milliarden Tonnen voraus.
Nicht nur die Politik versucht das Problem, das längst ein globales ist, in den Griff zu bekommen. Auch die Forschung sucht nach Wegen, wie man Müll nachhaltig beseitigen beziehungsweise nutzen kann. „Unser Thema ist sauberes Wasser, welches nach einer UN-Resolution aus dem Jahr 2010 ein verbrieftes Menschenrecht ist., jedoch nach wie vor nicht realisiert ist – insbesondere global,“ erklärt Prof. Dr. Marcus Halik vom Department Werkstoffwissenschaften. Zusammen mit seinem Team hat Halik in den vergangenen Jahren an der FAU erforscht, wie man mit smartem Rost Plastik aus Wasser entfernen kann. Dazu haben die Forscher/-innen neue Materialien und ein darauf basierendes Konzept entwickelt, das es ermöglicht, höchst problematische Wasserkontaminationen effizient durch spezielle Nanopartikel magnetisch einzufangen. Die entwickelten Nanopartikel binden Verunreinigungen und lassen sich zusammen mit diesen einfach magnetisch einsammeln. „Die Materialien sind preiswert, ungiftig, recycelbar, in großen Mengen herstellbar und erlauben so die Entfernung von Verunreinigungen in allen relevanten Konzentrationsbereichen, von der Öl-Havarie bis zu kleinsten Glyphosat-Verunreinigungen“, sagt Halik.
Mit Müll Energie gewinnen
Wissenschaftlich bewährt habe sich der smarte Rost bereits bei der Entfernung von Nano- und Mikroplastik, von flüssigen Kohlenwasserstoffen wie Benzol oder Erdöl, von Unkrautbekämpfungsmitteln oder giftigen Chlorverbindungen aus Flüssen, Seen oder dem Meer. „Derzeit entwickeln wir die Übertragung des Konzeptes auf Verunreinigungen wie Hormone oder Medikamentenrückstände sowie die sogenannten PFAs“, erklärt der Werkstoffwissenschaftler. Die PFAs, polyfluorierte Alkylsubstanzen, sind eine große Gruppe chemischer Verbindungen, die in Schmier- und Imprägniermitteln eingesetzt werden und sehr häufig vorkommen. Wie aussichtsreich Haliks Forschungsprojekte sind, zeigt sich auch daran, dass sie durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft sowie die Deutsche Bundesstiftung Umwelt gefördert werden.
Ein weiterer Ansatz, um das Problem in den Griff zu bekommen, nennt sich „Waste-to-energy“, die umweltfreundliche energetische Ausnutzung des Mülls. Aus Abfall Energie zu gewinnen, ist heute in Müllverbrennungs- und Biogasanlagen Standard. Dem Müll kommt somit in Deutschland und anderen Ländern mit entwickelter Abfallwirtschaft eine große Bedeutung bei der Strom-, Wärme- und Prozessenergieversorgung zu. Die europäische Abfallrahmenrichtlinie stuft diese energetische Verwertung von Abfällen in ihrer Abfallhierarchie auf Platz vier ein, hinter der Vermeidung von Abfall, der Vorbereitung zur Wiederverwendung und dem Recycling. Ein Großteil des Mülls wird verbrannt. Gerade bei regenerativen Rohstoffen aus Biomasse ist dies aber nur der allerletzte Schritt. Zunehmend wird das Prinzip der Kaskadennutzung verfolgt, bei der die Biomasse so lange und so oft wie möglich zunächst stofflich verwertet werden soll. Gerade in dezentralen Prozessen kann die energetische Verwertung auch mittels nicht-thermischer Technologien erfolgen.
Müll kann auch wertvoll sein
Prof. Katharina Herkendell forscht am Lehrstuhl für Energieverfahrenstechnik zur sogenannten Bioelektrokatalyse. Dabei geht es um die emissionsarme energetische Restnutzung von Abfallstoffen mittels enzymatischer und mikrobieller Katalyse in elektrochemischen Zellen: Biologische Materialien werden also als Katalysatoren bei elektrochemischen Prozessen eingesetzt. „In Biobrennstoffzellen gewinnen wir beispielsweise grünen Strom aus der Oxidation von organischen Verbindungen, wie sie in regulären Haushaltsabfällen, in Biofluiden oder in Abwässern vorhanden sind. Das nennt sich auch Waste-to-energy“, erläutert die Wissenschaftlerin. Des Weiteren kann man auch bioelektrochemisches „Power-to-X“ praktizieren, also den erzeugten erneuerbaren Überschussstrom aus Solar- oder Windkraft in eine Elektrosynthese pumpen, bei der die Elektronen beispielsweise Restströme von Kohlenstoffdioxid energetisch aufwerten. Hier kann mit den richtigen Biokatalysatorsystemen eine Wertstoffsynthese etwa von Biomethan, -methanol oder anderen E-Fuels betrieben werden. Hauptziel sei immer die maximale Nutzung von Energieträgern in möglichst geschlossenen Stoffkreisläufen, also der Beitrag zu einer zirkulären Bioökonomie, so Herkendell, denn: „Unser Müll ist immer noch wertvoll.“ Hier steht die Forschung zur Verwertung in enzymatischen Systemen noch ganz am Anfang.
Bislang wurden die enzymatischen Biobrennstoffzellen vor allem in der Medizintechnik verwendet, wo sie eine Fülle von Anwendungen finden. Als praktikabler und etablierter für die energetische Nutzung von Reststoffen gelten die mikrobiellen Systeme in Biogasanlagen und Klärwerken, wo elektrochemische Elemente in Pilotstudien bereits erfolgreich implementiert werden. „Generell ist das Forschungsfeld noch recht jung, es fehlt an langzeitstabilen und skalierbaren Systemen sowie an techno-ökonomischen Studien. Zur Rentabilität dieser Energiesysteme kann man bisher also keine allgemeingültigen Aussagen treffen. Langfristig haben die Kombi-Systeme aus erneuerbaren Katalysatormaterialien und grünem Strom bestechende Vorteile in der dezentralen Energieverfahrenstechnik“, erklärt Herkendell.
Wenn Enzyme Müll fressen
Auch am Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik (BVT) werden Enzyme eingesetzt, um Müll zu zersetzen, genauer gesagt, Kunststoffe wie Polyethylenterephthalat (PET). Damit assoziieren wir in erster Linie Plastikflaschen. Doch PET macht auch in kleinsten Stückelungen Probleme und bedroht die Umwelt. Die Ablagerung von Makro- und Mikroplastik ist nicht nur in den Gewässern gefährlich, sondern in der gesamten Natur. Die meisten Kunststoffe sind höchst langlebig und können daher nicht in einer definierbaren Zeitspanne abgebaut werden. „Um Akkumulation von Kunststoffabfällen in der Natur entgegenzuwirken und um Ressourcen zur Erzeugung neuer Kunststoffmaterialien zu sparen, ist vermehrtes Recycling oder idealerweise der vollständige Abbau von Kunststoffen notwendig“, erklärt Stefanie Fritzsche, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Department Chemie- und Bioingenieurwesen (CBI). Es gibt Enzyme in verschiedenen Mikroorganismen, die grundsätzlich in der Lage sind, Polymere wie das PET zu spalten. Die natürliche Funktion dieser Enzyme besteht darin, die wachsartige Schutzschicht bestimmter Pflanzen anzugreifen. „Als bisher nachteilig erwies sich jedoch, dass die Reaktionsgeschwindigkeiten der natürlichen Enzyme mit dem nicht-natürlichen PET vergleichsweise niedrig sind, und so der Abbau sehr lange dauert, kein vollständiger Abbau möglich oder der Einsatz von großen Enzymmengen notwendig ist, wodurch die Prozesse im großtechnischen Maßstab unwirtschaftlich werden. Daher liegt der Schwerpunkt unserer Forschung darin, die Aktivität sowie Stabilität dieser Enzyme durch das sogenannte Protein Engineering zu verbessern“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Beim Protein-Engineering wird die für die Enzyme codierende DNA verändert, um deren gewünschte Eigenschaften so zu optimieren, dass große Mengen von Kunststoffen innerhalb kürzester Zeitspannen abgebaut werden können. Das ist zukunftsweisend für die Abfallwirtschaft: Ein französisches Unternehmen konnte bereits zeigen, dass auch die großtechnische Anwendung dieser Recyclingstrategie möglich ist. „Am Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik mit seiner interdisziplinären Ausrichtung und seinem vollständig ausgestatteten molekularbiologischen Labor lässt sich die Grundlagenforschung des Protein-Engineering auf molekularbiologischer Basis mit der tatsächlichen biotechnologischen Umsetzung kombinieren“, sagt Fritzsche, deren erste Forschungsprojektphase durch die Alfred-Kärcher-Förderstiftung unterstützt wurde.
Der Wille zur Veränderung
Doch kann die Wissenschaft trotz noch so großzügiger und gezielter Fördermittel des Müllproblems jemals Herr werden? Für Professor Halik steht fest: „Wir können mit unserer Methode einen Beitrag hierzu leisten – insbesondere zur Reduktion von Neuverschmutzungen durch das Entfernen von Schadstoffen aus dem Wasser. Natürlich ist kein technisches Verfahren geeignet, die gesamten 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser auf der Erde von Mikro- und Nanoplastik oder anderen Schadstoffen zu reinigen. Jedoch bietet die technische Umsetzung der magnetischen Wasserreinigung die Möglichkeit, die zukünftige Schadstoffzufuhr, die im Wesentlichen über Flüsse erfolgt, zu minimieren.“ Letztendlich, so glaubt Marcus Halik, könne im globalen Kontext nur ein Paradigmenwechsel zum Erfolg führen, wenn es um die Bekämpfung von Müll geht: „Allein die Verwendung des Wortes ,Müllʻ impliziert schon unser Eingeständnis des Scheiterns, denn es gibt de facto keinen Müll. Alle verbrauchten Dinge entstammen natürlichen Ressourcen und sind somit umgewandelte Wertstoffe – das gilt selbst für CO2. Ressourcenneutrales Wirtschaften und Leben durch vollständige Materialkreisläufe und energieeffiziente Prozesse scheinen die einzigen Modelle zu sein, um wirklich nachhaltig zu leben.“
Wissenschaftlerin Herkendell sieht vor allem die Verbraucher/-innen als Wähler/-innen in der Pflicht: „Vielen Menschen dämmert es, dass uns einige unbequeme Umstellungen bevorstehen, was nachhaltigen Konsum angeht. Die Thematik bekommt mehr und mehr Aufmerksamkeit. Wir müssen, wo es geht, in Forschung investieren, die langfristige wirtschaftlich attraktive Alternativen zur heutigen Müllproduktion und -verwertung bietet.“
Dass es mittlerweile viele Forschungsgruppen gibt, die sich mit diesem Thema beschäftigen und dabei an ganz verschiedenen Punkten angreifen, ist für Stefanie Fritzsche entscheidend: „Während manche Forschungsansätze darauf setzen, die Entstehung von Müll zu vermeiden, indem etwa neuartige Materialien oder Prozesse entwickelt werden, versuchen andere Forschungsgruppen wie wir, bereits entstandenen Müll effizient abzubauen. Obwohl das Müllproblem momentan noch unlösbar scheint, denke ich daher, dass die Problematik durch ein bewussteres Verhalten der Menschheit sowie insbesondere wissenschaftlichen Fortschritt in der Zukunft eingedämmt werden kann.“
Aus dem FAU-Forschungsmagazin friedrich, Ausgabe 121 (6.12.21)
Über die Autorin
Susanne Stemmler ist promovierte Volljuristin und war viele Jahre Redakteurin bei der Nürnberger Zeitung (Recht/Politik). Inzwischen arbeitet sie als freie Journalistin.